Ein Zmorge-Date mit der Küchenwaage? Das Leben als Profisportler ist in jeder Hinsicht entbehrungsreich. Doch Velorennfahrer haben vielleicht einen noch härteren Beruf als andere.
Zu den vielen Trainingsstunden, den tausenden Kilometern bei Wind und Wetter oder zuhause auf der Rolle kommt eine eiserne Disziplin bei der Ernährung. Je leichter ein Fahrer ist, desto weniger Gewicht muss er einen Pass hinauf schleppen. Und je besser, je gezielter er sich ernährt, umso fitter ist er.
Zu Ferdy Küblers Zeiten waren Spaghetti verpönt, es gab vor dem Start Bohnen und Entrecôte und auf dem Velo Schinkenbrote, Reiskuchen oder Pouletschenkel. Spätere Generationen verschlangen schon zum Zmorge tellerweise Teigwaren. Doch das ist nicht mehr das Mass aller Dinge. In den letzten Jahren, wo die Teams zunehmend an jeder Stellschraube zu drehen begannen (die «marginal gains» vom Team Sky), setzten sich neue Ernährungs-Trends durch.
Heute werden die Leistungsdaten eines Fahrers in einer App gesammelt. Der Algorithmus diktiert das Menü. Je nach Profil und Aufgabe des Fahrers in der nächsten Etappe – Anwärter im Gesamtklassement, Bergspezialist, Sprinter, Helfer – wird berechnet, wie der Znacht auszusehen hat: 130 Gramm Teigwaren, 120 Gramm Poulet, 100 Gramm Gemüse. Die Fahrer wägen ihre Portion genau ab.
Wobei es durchaus Profis gibt, denen das zu viel ist. So sagte etwa Mauro Schmid, der Schweizer Meister, er esse das, worauf er Lust habe. «Ich habe mein Essen noch nie auf die Waage gestellt und hoffe, dass ich das auch künftig nicht machen muss.» Als einer, der nicht auf eine Top-Platzierung in der Gesamtwertung schielt, sondern sich auf Etappensiege fokussiert, ist das wohl eher möglich.
Schmid sagte, es gehe ihm darum, im Leben eine gute Balance und ein bisschen Spass zu haben. Wenn man mit Kleinigkeiten vielleicht 0,1 Prozent mehr Leistung herauskitzeln könne, verschwende er seine Energie nicht damit, sich mit diesem Detail zu beschäftigen. «Ich konzentriere mich stattdessen darauf, die Grundlagen seriös zu machen.»
Dazu gehört, sich während des Rennens richtig und ausreichend zu verpflegen. Manche Fahrer stellen sich auf dem Velo-Computer einen Alarm, um die Einnahme des nächsten Gels nicht zu versäumen. Diese enthalten primär Kohlenhydrate – und zwar deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren.
Die Mengen sind so gross, dass der Körper sich langsam daran gewöhnen muss. «Man muss schon im Training damit anfangen, seine Ernährung umzustellen, damit der Magen es verträgt und der Verdauungstrakt nicht überbeansprucht wird», erläuterte der österreichische Radprofi Patrick Konrad im Fachmagazin «Tour». «Es hilft nichts, plötzlich eine Unmenge an Kohlenhydraten in sich hineinzukippen, und dann weiss der Körper gar nicht, was er damit machen soll.»
Mittlerweile führen die Radprofis ihrem Körper während einer Etappe 100 bis 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde zu, so viel, wie in zwei Weggli enthalten ist. Von fester Nahrung ist man weggekommen, weil Fett und Eiweiss nicht benötigt werden. Teils sind die Kohlenhydrate auch im Sportgetränk der Fahrer, die aber auch viele Bidons mit Wasser trinken.
Während einer dreiwöchigen Rundfahrt wie der Tour de France landet häufig Reis auf dem Teller. «Manche Fahrer essen in der Früh, zu Mittag und zu Abend Reis mit Hühnchen», berichtet Konrad, der bei Lidl-Trek ein Teamkollege von Jonathan Milan ist, dem Führenden in der Punktewertung.
Der Österreicher mit der Erfahrung von zwölf Grand-Tour-Teilnahmen hebt im Interview die Bedeutung der Teamköche hervor, die nicht nur für den Körper der Radprofis arbeiten, sondern auch für den Geist. «Das Essen ist ja nicht nur zur Energieaufnahme da. Deswegen sind die Köche so wichtig, weil die individuell auf die Bedürfnisse eingehen und aus sehr einfachen Gerichten das Maximum herausholen können.» Eines seiner persönlichen Standard-Essen während der Tour sei Nudeln mit etwas Parmesan, ein Stück Pouletbrust und gebratenes Gemüse. «Das mag ich auch während einer dreiwöchigen Tour immer gerne.»
Oft wird Fahrern, kaum haben sie im Ziel gestoppt, von Betreuern ein Getränk gereicht. Das kann etwas Zuckerhaltiges wie Coca-Cola oder Fanta sein, ein spezieller Recovery-Shake oder ein Kirschsaft.
Konsumiert wird mit der Absicht, die Energiespeicher möglichst rasch wieder aufzufüllen und die Muskeln zu «reparieren». Sauerkirschsaft etwa enthält Stoffe, die entzündungshemmend wirken und so den Muskelkater und die Erholungszeit reduzieren können.
Noch im Mannschaftsbus auf dem Weg zum Hotel essen die Fahrer nach der Etappe ein erstes Mal, oft gibt es Reis oder eine Omelette und einen Protein-Shake, der bei der Erholung hilft. Dazu Gummibärchen – wegen der Kohlenhydrate und ein bisschen fürs Gemüt. Im Hotel angekommen warten nach der Massage das Abendessen und die Küchenwaage.
Am nächsten Morgen geht die Schinderei weiter. Auf und neben dem Velo.